Zehn bis fünfzehn Menschen (im Moment maximal neun wegen Corona)unterschiedlichsten Alters, einige recht sportlich anmutend, andere sportlicher Eleganz völlig unverdächtig, wiederum andere, denen Bewegungen aller Art offensichtlich schwerfallen, liegen auf ihren Decken und Matten am Boden.
Entsprechend den ruhig vorgetragenen Bewegungsvorschlägen des Leiters der Gruppe hat jede(r) Zeit, auf ganz individuelle Art und Weise mit der Bewegung zu experimentieren. Nach recht kurzen Bewegungsphasen wird bereits wieder eine Pause eingelegt.
Ein ahnungsloser, zufällig vorbeikommender Beobachter würde das Geschehen vermutlich erst staunend betrachten und dann kopfschüttelnd seines Weges ziehen, ohne sich einen Reim auf das Betrachtete machen zu können. Nein, Gymnastik machen die nicht, würde er sich wohl sagen, dafür verläuft alles viel zu ruhig und langsam. Yoga, Autogenes Training vielleicht? Auch nicht, dafür ist dann doch zuviel Bewegung, auch geht es nicht immer sonderlich ernst zu. Geht es also um Spaß und Entspannung? Auch, aber die Leute scheinen äußerst aufmerksam zu sein, ohne dadurch angespannt zu wirken.
Der fiktive Beobachter braucht sich seines Nicht-Verstehens nicht zu schämen. Wirklich begreifen läßt sich die Feldenkrais-Methode weder durch Zuschauen, noch durch Lesen dicker Bücher, sondern nur durch Ausprobieren.
Die Wirkung der kleinen, spielerischen Feldenkrais-Bewegungen ist in der Tat verblüffend: Wenn die TeilnehmerInnen z.B. nach etwa einer halben Stunde, während derer ausschließlich Bewegungen auf einer Körperseite ausgeführt wurden, wieder aufstehen, ergibt sich oft ein merkwürdiges Bild. Einige Menschen sehen recht schief aus, eine Schulter hängt tief, während die andere nahe am Ohr ist, andere fallen durch einen merkwürdig schleppenden Gang auf. Sie scheinen ein längeres und ein kürzeres Bein zu haben.
Nachdem dann die zweite Körperseite auch bewegt wurde, sind die „Schiefen“ nicht nur gerade, sondern oft sogar aufrechter als zu Beginn, die „Schleppenden“ gehen gleichmäßig. Darüber hinaus berichten viele TeilnehmerInnen davon, sich leicht zu fühlen, größer zu sein, stabiler auf den Füßen zu stehen oder entspannter, frischer zu sein.
Wie sollen denn solch verblüffende Ergebnisse zustande kommen, werden Sie sich vielleicht fragen. Folgendes Bild soll den Zugang zum Verständnis der Wirkungsweise erleichtern:
Viele Menschen sind in der Lage, sich eine Mahlzeit zuzubereiten. Die einen schieben ein Fertiggericht in die Mikrowelle oder erhitzen den Inhalt einer Konserve. Andere wissen die Zutaten getrennt auszuwählen und sie zu einem schmackhaften Essen gekonnt zusammenzufügen. Einige wenige betreiben das Kochen mit kunstvoller Raffinesse und erfreuen damit ihre Gäste. Das Geheimnis der Kochkunst liegt gleichermaßen in der Auswahl der Zutaten wie in der Art und Weise der Zubereitung.
Auf menschliche Bewegung übertragen fällt die Rolle des Kochs dem Gehirn zu. Möchte beispielsweise jemand ein Fenster öffnen, so muß das Gehirn die Bewegung der Füße so steuern, daß der Mensch im richtigen Abstand vom Fenster zu stehen kommt, dann den Arm anweisen, sich zu heben, der Hand bedeuten, den Griff zu fassen, um schließlich dem ganzen Körper eine Rückwärtsbewegung zu befehlen, welche das Fenster schließlich öffnet.
Alle „Zutaten“ des gesamten Bewegungsablaufs müssen in sinnvoller Reihenfolge geschehen und gut aufeinander abgestimmt sein.
Nun ist es mit der Bewegung ähnlich wie mit dem Kochen: Die meisten Menschen können Gehen, Stehen, Sitzen, Fensteröffnen . . . Aber, während sich einige dabei abmühen, über Verspannungen oder gar Schmerzen klagen, lösen andere die gleiche Aufgabe mit Leichtigkeit und Eleganz.
Feldenkrais-Bewegungen lehren das Gehirn, ein besserer „Koch“ zu sein, also erlesene Zutaten wie Arm oder Beinbewegungen zu einem „schmackhafteren“ Gericht, sprich: besserer Gesamtbewegung, zu kombinieren.
Nun, der Vergleich ist ja ganz nett, werden Sie sich vielleicht sagen, aber gibt es nicht noch genauere, konkretere Beschreibungen? Gut, lassen Sie es mich mit einem Beispiel versuchen:
Setzen Sie sich auf die vordere Kante eines Stuhls und schauen zunächst nach vorne. Schauen Sie jetzt drei- oder viermal über die rechte Schulter nach hinten und markieren, soweit hinten wie Ihnen dies bequem möglich ist, in Gedanken mit den Augen ein Kreuz an der Wand und merken sich dessen Position.
Strecken Sie nun beide Arme nach vorne aus und falten die Hände ineinander. Bewegen Sie beide Arme etwa zehnmal nach rechts und wieder nach vorne zurück und schauen dabei ununterbrochen auf Ihre Hände. Legen Sie nun eine kurze Pause ein und probieren nun nochmals, was Sie zu Anfang taten, nämlich nach rechts schauen. Können Sie nun Ihr Kreuzchen etwas weiter nach hinten setzen?
Ich bin mir ziemlich sicher, daß die Antwort für die meisten LeserInnen „ja“ lautet. Sollte dies auch für Sie zutreffen, so hat Ihr Gehirn einen offensichtlich besseren Weg gelernt, das nach-rechts-Umdrehen zu organisieren. Um im oben benutzten Bild zu bleiben: es ist ein besserer „Koch“ geworden.
Natürlich ist der Ablauf in einer Gruppenstunde umfangreicher und vielschichtiger als in dem kleinen Beispiel. Dennoch ist der Grundgedanke der gleiche.
Sie erhalten ein wohldurchdachtes Angebot aufeinander aufbauender Bewegungen, welche jeweils einen etwas anderen Schwerpunkt haben. Sie sind so gestaltet, daß sie das komplexe Geschehen einer Gesamtbewegung, wie Sich-Umdrehen, Sitzen, Stehen oder Gehen in kleine Teilaspekte zerlegen, so daß jede einzelne „Zutat“ in Ruhe erfahren und verbessert werden kann. Sind aber erst alle „Zutaten“ bewußter, klarer und leichter geworden, so ist es nicht weiter verwunderlich, wenn die Gesamtbewegung am Ende eine bessere Qualität gewonnen hat.
Die Feldenkrais-Gruppenstunde
(Bewußtheit durch Bewegung)