Moshé Feldenkrais hat keine eigene Theorie zu seiner Arbeit entwickelt. Er hat die Entdeckungen seiner zahlreichen Lehrer vielmehr anwenden wollen. Allerdings betrachtete er deren Wissen zumeist von einer anderen und völlig neuen Seite. Um es praktischem Gebrauch zuzuführen, forschte er auf seine Art. Er ging hierbei systematisch und methodisch vor. In seiner wissenschaftlichen Arbeit und in deren Nutzanwendung war Feldenkrais seiner Zeit weit voraus. So betrachtete er die Art und Weise, „wie wir handeln und uns bewegen und wie wir uns allgemein leiten, lenken und regieren“ (M. Feldenkrais) nicht durch „unseren gewohnheitsmäßigen Raster des Kausalschemas“ (M. Feldenkrais). Er fragte nicht: Was geschieht und warum, sondern wie geschieht es und wozu? Sein Interesse galt dem Handlungsablauf. Körperhaltung verstand er deshalb als auf Verhalten bezogenen (dynamischen) Prozeß, nicht als einen (statischen) Zustand. Die Frage nach dem Wie bringt den Beobachter mit ins Spiel: Feldenkrais hat den wissenschaftstheoretischen Paradigmawechsel in der Physik in seine Lernmethode einbezogen: Als Beobachter ihrer selbst trägt die Person in der Art und Weise, wie sie wahrnimmt, zur Veränderung dessen bei, was sie beobachtet. Er dachte und experimentierte also bereits in Kategorien der Systemtheorie und der Kybernetik. Vor allem aber hat Feldenkrais die Bedeutung der Schwerkraft für Verhalten und für die Gestaltung von Lernprozessen untersucht.
Feldenkrais kombinierte sein Wissen und seine Praxis der fernöstlicher Kampfkünste (Judo, Jiu-Jitsu) mit Kenntnissen aus der Physik, der Mechanik und Elektrotechnik, der Anatomie und der Verhaltensphysiologie. Er ließ sich beeindrucken von der Philosophie der Selbstverbesserung von Emil Coué und Gurdieffs Philosophie zur Selbstbewußtheit von Körper und Geist als lebenslangem Lernprozeß. In seine Forschungen bezog er Theorien der Neurophysiologie ein, insbesondere die des russischen Forschers Alexander Luria, Darwins Evolutionstheorie, der Verhaltensforschung von K. Lorenz und Piagets Entwicklungspsychologie. Er kannte die Forschungsergebnisse der Biomechanik und Bewegungswissenschaften (etwa Arbeiten von Nicolai Bernstein und Edward Reed). Ausführlich befaßte sich Feldenkrais mit (seinem Denken verwandten) Ansätzen von F. Mathias Alexander (Alexander-Technik) und von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby (später von Charlotte Selver weiterentwickelt zu sensory awareness). Er griff Gedanken der Systemtheorie (Gregory Bateson) und der Kybernetik (Heinz von Foerster) und die Metapher des Gehirns als eines Hologramms (Karl H. Pribram) auf, weil sie seinen eigenen Forschungsergebnissen entsprachen. Und er ließ sich beeindrucken von systemischen Ansätzen in der Psychotherapie, insbesondere von der Gestalttherapie F. Perls und der Hypnotherapie von M. Erickson. In vielen dieser Arbeiten wird das Denken in eher mechanischen und kausalen Begriffen von Reiz-Reaktions-Schemata allmählich abgelöst durch Theorien, die statt dessen von wechselseitig sich beeinflussenden, zirkulärem System-Umwelt-Geschehen ausgehen wie z.B. Umwelt-Sinnesempfindung-Nervensystem-motorische Tätigkeit-Umwelt (M. Feldenkrais ).
Bei der Weiterentwicklung dieser Konzepte – insbesondere in den Kognitionswissenschaften und der Neurobiologie – ist die Idee einer Abbildung der äußeren Welt im inneren des Gehirns (Die Welt als Ursache von Erfahrung) inzwischen aufgegeben worden. Gearbeitet wird jetzt mit Modellen der Formung der Welt über absichtsvolle Aktion der Systemeinheit Mensch (Die Welt als Folge von Erfahrung), zum Beispiel in den Arbeiten von Humberto Maturana und Francisco J. Varela. Damit bestätigen sich manche von Moshé Feldenkrais Annahmen über die Funktionsweise des Nervensystems aus den 40er Jahren, z.B. über die Selbstorganisation des Gehirns oder die Vorgehensweise, die absichtsvoll handelnde Person zum Ausgangspunkt – zur „first person in account“ (F. Varela) – bei der Erforschung von Verhalten zu machen.
Manche der Ergebnisse der Feldenkrais-Methode können mit den Modellen der Neurowissenschaften, der Kognitions- und Bewegungswissenschaften (vgl. dazu auch E. Thelen/L. Smith) zur Zeit noch nicht ausreichend erklärt werden. Das Abstraktions-niveau der Modelle ist zudem außerordentlich hoch, ihre Anwendbarkeit jenseits des Labors damit erschwert. Um so mehr nimmt das Interesse an Ergebnissen phänomenologischer Forschung und Praxis zu, wie sie die Feldenkrais-Methode seit 50 Jahren vorlegen kann (F. Varela).
(Dieser Artikel ist dem Berufsbild der „Feldenkrais-Gilde e.V.“ entnommen).
Wissenschaftliche Grundlagen